Der große Preis, Volker Renner

Der Grosse Preis Große goldene grafische Buchstaben, die in einen Hardcover-Einband aus grauem Buchleinen eingeprägt sind, werben für den Großen Preis. „Moment mal …“, werden sich viele Leser, zumindest in Deutschland, denken: „War das nicht eine Art Quizshow in den 70er und 80er Jahren?“ Und tatsächlich gab es eine Quizsendung namens „Der Große Preis“, die sich tatsächlich großer Beliebtheit erfreute.

Moderiert von Wim Thoelke, lief es von 1974 bis 1992: Jeden Monat stellten sich autodidaktische Experten den Fragen des Gastgebers in ihrem gewählten Fachgebiet. Vor dem Aufkommen des Internets und der Wikipedia bot die Show, die Rekordeinschaltquoten von bis zu 60 % erzielte, totalen Nerds die Möglichkeit, zu glänzen und begeisterten Applaus zu ernten. Der Titel des Buches versetzt uns also zurück in unsere Kindheit, und wir sind versucht zu glauben, dass die Seiten uns in eine verblasste, pastellfarbene Welt voller fröhlich-patriarchalischer Talkshow-Moderatoren, geföhnter Frisuren, Hornbrillen, Vokuhilas, Schulterpolster und Walrossschnurrbärte. Aber wir erleben eine Überraschung. Wie in vielen seiner früheren Fotoprojekte fordert Volker Renner uns heraus, unsere Erwartungen an das Vertraute beiseite zu lassen. Anstelle der Quizshow-Aufnahmen, die wir vielleicht erwartet hätten, sehen wir Hände, die sich vor teils farbenfrohen, teils düsteren Hintergründen in die Bilder strecken. Viele wirken zart, zerbrechlich, sanft, schüchtern, verklemmt, zurückhaltend; andere sind robust, grob, trotzig, willensstark, polternd, unbestreitbar da. Die im Buch enthaltenen Bilder werden durch das Zusammenspiel von Licht, Farbe, Körperhaltung und Bildkomposition belebt. Die Hände scheinen Rhythmus und Bewegung, Emotion und Gesang zu vermitteln. Sie buhlen um unsere Aufmerksamkeit und erzählen uns Geschichten über Liebe, Schmerz, Freude, Trauer und andere starke Gefühle. Der Große Preis bezieht sich in diesem Fall also offensichtlich nicht auf die oben erwähnte Quizshow: Das Kernereignis des Buches ist von anderer Art. Volker Renner hat diese Bilder während des 56. Eurovision Song Contest gemacht, der im Mai 2011 in Düsseldorf stattfand.

Anstatt große Momente der Show einzufangen, lenken seine Fotografien unsere Aufmerksamkeit auf kleine Gesten am Rande des Ereignisses und werfen ein Schlaglicht auf ein scheinbar vernachlässigbares Detail. Das Wesentliche – die Protagonisten, denen diese Hände gehören – wird herausgeschnitten, buchstäblich abgeschnitten, und wir ertappen uns dabei, wie wir versuchen, das Gesehene zu ergänzen, das Bild zu vervollständigen. Und da scheint Renners Wahl des Titels plötzlich vollkommen sinnvoll: Es handelt sich um ein Bilderrätsel, und wir haben bereits begonnen, die Fragmentierung dieser Bilder aufzuheben, indem wir sie wieder in den größeren Kontext stellen, in dem sie entstanden sind. Bewusst und unbewusst verbinden wir die Fotografien mit Geräuschen, Melodien, Choreografien, Bewegungsabläufen, Bühnenakrobatik, Kostümen, Charakteren und Darstellern. Und so werden auch wir zu Nerds: Idealkandidaten für den Großen Preis.

Herausgegeben von Volker Renner und Textem Verlag
Gebundene Ausgabe
64 Seiten
240 x 30 mm
ISBN 9783864850493